Franziska Abele ist Projektmanagerin Digital bei der BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH. Die BIM ist eine 100%ige Tochtergesellschaft des Landes Berlin und verantwortet Vermietung, Verwaltung und Sanierung von Immobilien und Grundstücken im Landesbesitz. Als Scrum Masterin begleitet Franzi Projekte im Bereich Daten- und Systemmanagement, als Agile Coach setzt sie “agile Impulse” für unterschiedliche Bereiche der Gesamtorganisation. Franzi berichtet hier von ihren neu-geschaffenen Rollen und wie das Thema Agilität in einer verwaltungsnahen Organisation angegangen wird.
Claire: Liebe Franzi, was sind denn deine Aufgaben in Sachen Agilität bei der BIM?
Franzi: Ich habe zwei Einsatzbereiche: Zum Einen bin ich im Bereich Daten- und Systemmanagement (IT) als Scrum Masterin tätig. Und der IT-Bereich ist einem dauerhaften Wandel unterzogen. Im Rahmen eines Organisationsentwicklung-Projekts, welches sich BIM 4.0 nennt, haben wir erkannt, dass es sinnvoll ist, gewisse Themen oder Ideen agil anzugehen. Andere Projekte erarbeiten wir teilweise nachwievor mit der Wasserfall-Methodik. Angeregt durch den 4.0-Prozess haben wir uns neue Fähigkeiten angeeignet, z.B. gibt es nun die Möglichkeit einzelne Teams anhand eines Kanban-Boards zu koordinieren, sodass die Teamleiter*innen im Blick haben, wer woran arbeitet, ohne dass dafür ellenlange Meetings stattfinden müssen. Zudem bauen wir gerade unsere Räumlichkeiten um, um flexibler und mobiler zu arbeiten. Wir bilden uns also nicht nur methodisch fort, sondern passen auch unser Arbeitsumfeld an. Ab Januar 2020 haben wir dann dezidierte Besprechungsräume und Orte für Daily Scrums, Retrospektiven und Reviews.
Darüber hinaus mache ich gerade eine Ausbildung zum Agile Coach. In der Funktion berate ich vor allem das Daten- und Systemmanagements zum Thema Agilität und trage dieses Wissen zusammen mit den Kolleg*innen aus der Unternehmensentwicklung auch wieder zurück ins Haus. Aktuell erarbeiten wir beispielsweise eine Arbeitsgruppe zum Thema Agilität, mit der wir neben Test zu den gängigen agilen Frameworks und Artefakten auch das Thema Selbstorganisation in kleinen Innovationskeimzellen testen wollen. So nehmen wir ressourceneffizient dessen Tauglichkeit für das Gesamtunternehmen unter die Lupe.
Claire: Worin unterscheiden sich die Rollen Agile Coach und Scrum Master*in?
Franzi: Als Scrum Master*in habe ich die Verantwortung für den Scrum Prozess und dessen korrekte Umsetzung. Ich begleite und befähige das Scrum Team darin bestmöglich zu arbeiten und strebe die ständige Verbesserung des Prozesses an. D.h. ich sorge für das sog. Timeboxing (Zeitmanagement) & den Austausch im Team, helfe also dabei sich besser zu koordinieren und zu organisieren und versuche insbesondere kontinuierlich Hindernisse aus dem Weg zu räumen, denen das Team bei der Umsetzung begegnet.
Als Agile Coach habe ich vielmehr die Rolle das Unternehmen und die Kollegen*innen zu begleiten, weiterzubilden, Verständnis zu schaffen, Impulse zu setzen und als Mediatorin/Facilitatorin zwischen Interessen zu vermitteln. Also auch Ängste heraus- und anzuhören und mich darum zu kümmern, dass diese berücksichtigt und in eine konstruktive Lösung überführt werden. Insofern ist dies keine Projektrolle, ich handle hier im Auftrag der Organisation.
Claire: Wie kommst du zu alledem?
Franzi: Wir wurden ja u.a. von dir Claire in unserem BIM 4.0 Projekt, einem Open Strategy Prozess, begleitet. Hier hatte ich die Möglichkeit den Arm zu heben und mich in der Rolle der Scrum Master*in zu versuchen. Und das erst mal ohne großen Methodenkoffer. Ich habe mich dann in das Thema eingelesen und auch im Tun gemerkt: Ich brauche da noch mehr Wissen. Außerdem hat mein Chef meine Vision sehr unterstützt und mir da sehr viel ermöglicht.
Aber für mich geht das Thema “Agilität” deutlich über Scrum hinaus. Wenn jemand an Agilität denkt, wird oft nur an SCRUM Artefakte gedacht. Dabei bedeutet Agilität eine Vielzahl an Methoden, bestimmte Werte, eine gewisse Art und Weise wie Teams zusammenarbeiten und natürlich auch ein bestimmtes Mindset. Wobei letzteres auch ein bisschen aus dem Bauch heraus kommen muss (lacht).
Ich habe im 4.0-Prozess gemerkt, dass Agilität ein großer Auftrag an uns alle ist und festgestellt, dass sowohl mein Chef als auch der Rest des Unternehmens ein Bedürfnis haben begleitet zu werden.
Claire: Wie definierst du Agilität?
Franzi: Agilität ist für mich der Freiheitsgrad, sich an eine bestimmte Sache stückweise heranzutasten, an das mögliche Optimum, und immer wieder zu reflektieren: Ist es das was wir wollen? Als Projekt und auch als Organisation?
So gehe ich auch vor, wenn ich ein Bild male: Bin ich damit zufrieden, mache ich weiter. Ich habe stets die Möglichkeit zu optimieren und nachzubessern. Ich habe aber auch die Möglichkeit den Radierer herauszuholen und etwas rückgängig/anders zu machen. Aus den Fehlern oder Umwegen zu lernen. Damit habe ich i.d.R. nicht viel Zeit und im besten Fall auch nicht viel Geld verloren.
Claire: Du sagst, deine Aufgabe ist es vor allem auch als Scrum Masterin, Selbstorganisation zu ermöglichen – wie machst du das?
Franzi: Ich gebe Raum zum Austauschen, der zeitlich limitiert ist. Mir ist es wichtig, dass die Teammitglieder lernen die Essenz ihres Tuns in kürzester Zeit zu transportieren. Das ist für mich effizient! Wenn ich jemandem sage: “Du hast nun 3 Minuten für deine wichtigsten Botschaften”, habe ich in diesen 3 Minuten idealerweise so viel erfahren wie in einer Stunde. Menschen können lernen sich zu reduzieren. Aber dabei brauchen sie Unterstützung.
In den sogenannten Retrospektiven begleite und befähige ich die Leute dazu zu reflektieren. Für viele ist es total schwer in die Reflektion zu gehen und die Qualität der Arbeitsergebnisse in Frage zu stellen. Ich erlebe, dass Menschen oft getrieben sind von der Angst Fehler gemacht zu haben. Dabei geht es immer um die Fragen: Wie kann ich und wie können wir besser werden und aus “Fehlern” lernen? Wenn sich ein Team am Tisch mit einem Lächeln von den doofen Situationen erzählen kann, die einem so im Sprint unterlaufen sind, zeigt das für mich Vertrauen in sich und das Team. Das sind dann m.E. die schönsten Momente in der Zusammenarbeit.
Ich sehe meine Aufgabe als Scrum Masterin außerdem darin, mich überflüssig zu machen. Also dass es mich nicht mehr braucht im besten Fall, auch wenn ich das aktuell noch nicht will, da es mir zu viel Spaß macht (lacht).
Claire: Was sind für dich die größten Herausforderungen, wenn es darum geht Projekte agil umzusetzen oder gar das Unternehmen agil zu transformieren?
Franzi: In verwaltungsnahen Organisationen wie der BIM ist die Bereitschaft zur Umsetzung von agilen Projekten eher verhalten. Das liegt m.E. daran, dass viele Mitarbeiter*innen durch ihre Erfahrungen im Job gewohnt sind, dass man ihnen sagt, was sie zu tun haben: “Du machst das”, “dafür brauchst du jenes”, “hier ist die Mail vom Chef: Der will ein Programm mit den und den Funktionen, programmiere mir das in fünf Monaten”. Mit dem Resultat, dass der Chef am Ende sagt: “So meinte ich es nicht.” Die Kommunikation ist in dieser Top-Down-Konstellation eine Einbahnstraße, und Zwischenergebnisse, werden aus Angst der (negativen) Zwischenbewertung nicht transparent gemacht.
Claire: Wieso sollte die BIM überhaupt agil arbeiten? Wieso will sie das?
Franzi: Die BIM will per se gar nicht überall agil arbeiten. Ich finde man muss sich auch hier immer wieder die Frage stellen: Mit welcher Methodik setzen wir das am Besten um? Kanban, Scrum, Waterfall? Besonders spannend ist es für die Bereiche, in denen Agilität Hand in Hand mit Innovationen geht, wie z.B. in der Systemlandschaft. Hier ist es praktisch, weil es in den Kontext der „Entwicklungen“ passt, die immer wieder kontrolliert werden können.
Design Thinking, eine weitere “agile” Methode, ist wiederum ein toller Schritt, um uns den Markt und die Bedürfnissen der Berliner Stadtgesellschaft zu erschließen und unsere Antworten darauf zu entwickeln.
Ich sehe darüber hinaus agiles Arbeiten als wichtiger Bestandteil für die Bereiche Personal & Organisation, Unternehmensentwicklung (Innovationsprojekte), Kommunikation und teilweise auch im Vertrieb.
Claire: Gab es für dich so etwas wie einen “agilen Aha-Moment”?
Franzi: Tatsächlich begegnet mir das Thema auch im Privaten. Persönlich beschäftige ich mich gerade mit Schule und dem Bildungssystem, und damit, was ich mir für meine Tochter wünsche. Ich habe aktuell die Wahl zwischen altershomogenen Frontalunterricht an einer öffentlichen Schule oder altersübergreifenden, offenen, bis zu einem gewissen Grad selbstorganisierten Unterricht an einer Montessori-Schule. Hier fungieren Lehrer*innen als Lern-Begleiter*innen. Man hört schon, dass ich zur Montessori-Schule tendiere: M.E. haben Kinder eine andere Motivation, wenn sie den Schulalltag mitgestalten können.
Die Beschäftigung damit war dann auch ein beruflicher Aha-Moment. Aufgrund dessen, was ich gerade an Herausforderungen in meinem Berufsleben sehe, möchte ich, dass mein Kind schon früh die Fähigkeiten erlernt, um selbstbestimmt, selbstorganisiert und selbstreflektiert zu lernen. Und das mithilfe eines/einer Begleiter*in, die/der sich in der dienenden Führung wähnt, unterstützt, befähigt, also wie eine Hebammen agiert, und das große Miteinander in den Mittelpunkt rückt. Ich lerne also auch vom Bildungssystem und im speziellen von Montessori darüber, wie agiles Denken und Arbeiten auch in anderen Teilen unserer Gesellschaft aussieht und übertrage das dann wiederum in meine Arbeit.
Claire: Welche Klischees zum Thema Agilität kannst du bestätigen, welche widerlegen?
Franzi: (lacht) Das kann ich bestätigen: Es gibt ein Haufen Anglizismen im Thema, wodurch sich viele abgehängt fühlen und unnötigerweise eine Barriere aufgebaut wird. Auch in Unternehmen wie unserem. Bei der älteren Generation führt es zur Unsicherheit – und das schadet!
Widerlegen kann ich das Vorurteil, dass man in agilen Projekten planlos und unkoordiniert vorgeht. Für mich ist Agilität allgemein, und SCRUM im Speziellen, ein so strukturiertes und durchgetaktetes Rahmenwerk, in dem Planlosigkeit gar nicht erst entsteht. Es gibt auch hier eine Menge Regeltermine und Artefakte (Ergebnisse) zur Orientierung und Menschen in gewissen Rollen, die das Ganze im Blick haben.
Claire: Was war das Nützlichste, dass du über Agilität und Scrum gelernt hast?
Franzi: Die Reflektion gepaart mit der Transparenz. Sich also im Team immer wieder Zeit zu nehmen und selbst zu hinterfragen: Sind wir auf dem richtigen Weg? Ich, das Produkt, das Projekt, usw.
Im Grunde ist es doch so: Ich laufe nicht kilometerweit in den Süden und erwarte an den Nordpol zu kommen, sondern frage relativ zeitig nach, ob es hier nach Norden geht. Agilität heißt ständig alle Involvierten, d.h. Kollegen, Teams, Auftraggeber*innen, zu befragen und daraus ein Ergebnis zu produzieren. Nach 1-4 Wochen präsentieren wir, was wir gemacht und geschafft haben und gehen in den Diskurs: Ist es das was ihr wollt? Geht es in die richtige Richtung? Gibt es etwas Besseres?
Claire: Hast du ein konkretes Beispiel hierfür?
Franzi: Neulich musste eine Entscheidung zwischen zwei Systemen (Software) gefällt werden und dabei ist es kurzfristig zu einer Eskalation gekommen. Wir haben das erkannt und reagiert. Mein Ziel war es, alle an einen Tisch zu bringen und gemeinsam einen neuen Weg zu wählen. Gegebenenfalls auch einen Mittelweg.
Für meinen Stakeholder im laufenden Projekt war das der Moment, wo er sagen konnte: “Genau das brauche ich: Eine schnelle Eskalation, und die Möglichkeit zu fragen: Wo liegt das Problem? Und wie gehen wir das nun an?”
Claire: Auf welche Fragen suchst du als Agile Coach oder als Scrum-Masterin noch Antworten?
Franzi: Ich beschäftige mich tatsächlich viel damit, wie ich es schaffen kann, Menschen durch Veränderungen zu führen, ohne dass sie sich in der agilen Welt verloren fühlen und dabei noch Spaß haben. Außerdem finde ich es herausfordernd, wenn sehr diverse Menschen zusammenkommen, vor allem die mit einem hohen Bedürfnis nach Command and Control: Anforderungen entgegennehmen und ausführen. Mir geht es ja nicht darum alle gleich zu schalten, aber Menschen entwickeln sich nunmal unterschiedlich schnell. Und was mache ich vor allem mit denjenigen, die gar keinen Bock auf Veränderungen haben? Wie sieht tatsächlich ein “guter Change” aus?
Claire: Was würdest du anderen Organisationen empfehlen, wenn Sie sich auf den Weg in die agile Transformation machen möchten?
Franzi: Zunächst würde ich ihnen das Prinzip des Shu ha ri ans Herz legen. D.h. alles, was sie einführen möchten, sei es Scrum, Kanban oder nur ein Daily, dass sie dies in Reinform üben. Als Testphase also, um dann zu reflektieren und zu entscheiden: das passt hier und da, da nicht, und für den Zweck X passe ich es wieder an.
Ich empfinde es i.d.R. als nicht zielführend, vor Einführung einer Systematik bereits zu beschließen, dass die Retrospektive sowieso nicht notwendig sei, das Daily einmal die Woche ausreiche, usw. Also dieses “Sich-nicht-einlassen” und trotzdem urteilen über etwas, was gar nicht erlebt wurde. Außerdem würde ich das Anliegen der Organisation hinterfragen: Muss es überhaupt agil sein? Was will man damit erreichen? Geht es auch über einen anderen Weg? Was ist konkret anders, wenn wir agil arbeiten?
Claire: Vielen Dank für das tolle Gespräch und die spannenden Einblicke, liebe Franzi!